Der Zuverlässigkeitsprozess: Die Rolle der Statistik für das Verständnis der Vergangenheit und Gegenwart.

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Die Zuverlässigkeit – als eine Kerndisziplin der technischen Statistik – beginnt bei der Zieldefinition für ein Produkt, bewertet die Zuverlässigkeits-Nachweise und erstreckt sich bis zur Lebensdauerprognose. 

Entsprechend gibt es einen mächtigen Methodenkanon zu diesen Themen für die Anwendung im gesamten Produkt-Lebenszyklus. Allerdings ist bei den Methoden Vorsicht geboten, schlicht weil das Ergebnis einer statistischen Transformation „nur“ eine Funktion des Inputs ist. Umfang, Qualität und Verlässlichkeit der verfügbaren Daten sind daher kritisch für die Qualität der Ergebnisse. Das Wissen über die Welt abseits der Daten fehlt in den klassischen statistischen Verfahren. Daher passen die Ergebnisse oft nicht zur so recht in die Wirklichkeit. Aber auch dafür gibt es Lösungen.

Im Folgenden stellen wir die Anwendungen der Statistik für die Analyse der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft (Teil 2) dar. Dabei räumen wir die methodischen Stolpersteine aus dem Weg oder stellen zumindest Warnschilder auf, damit keine Bauchlandungen passieren.

Vom Nutzen der Statistik für das Verständnis der Vergangenheit und Gegenwart

Statistik ist Datenwissenschaft (Data Science). Daten sind unangenehm. Sie kosten laufend Geld, sind aufwändig zu halten und ohne Verarbeitung sind sie nutzlos. Daher verarbeitet die Statistik Daten, um daraus Information zu destillieren. Genau die brauchen wir als Basis für Entscheidungen.

Im Umfeld der Zuverlässigkeit erstellen wir mit statistischen Methoden ein quantitatives Bild über die Gegenwart, also zum aktuellen Status der Zuverlässigkeit. Dazu werden die Datenbanken zu Feldausfällen ausgewertet. Idealerweise verbindet man diese Daten mit anderen Quellen, z.B. der Wartungsdokumentation oder dem Ersatzteilmanagement (CMMS).

Analysen des Ausfallsgeschehens über die Zeit liefern wertvollen Input für die Identifikation von Qualitäts- oder Lebensdauer-Problemen. Diese beiden Problemtypen lassen sich über den Verlauf des Ausfallsgeschehens gegen Betriebszeit oder Laufleistung unterscheiden. Zuverlässigkeits-Probleme nehmen über die Zeit zu, bei Qualitätsproblemen ist das umgekehrt. Diese Unterscheidung soll vermeiden, dass Qualitäts-Themen mit Zuverlässigkeits-Methoden behandelt werden oder umgekehrt. Die Vorab-Klärung ist wichtig, denn im Problemlösungs-Prozess wird dieser Unterschied nicht mehr thematisiert. Die Statistik muss daher das Team aufs richtige Gleis setzen, damit es bei der Problemlösung nicht den Umweg über Nebenschauplätze nehmen muss.

Wenn wir aus der Vergangenheit lernen wollen, dann hoffen wir auf „nicht zensierte“ Daten, die das gesamte Produkt-Leben abbilden. Diesen Fall gibt es, aber leider finden wir ihn fast nur in den Lehrbüchern. Felddaten sind in der Regel zensiert, weil die Kunden den Service nach der Gewährleistungszeit nicht in Vertragswerkstätten erledigen lassen oder die Wartungstätigkeiten nicht detailliert dokumentiert werden oder die Dokumentation für Zuverlässigkeitsfragen nicht geeignet ist. Es gibt viele Ursachen. Trotzdem stellen diese Daten zum Ausfallsgeschehen die empirische Basis dar, mit der die relevanten Aspekte der Zuverlässigkeit oft besser als erwartet bewertbar sind.

Zunächst einmal wird evident an welchen Bauteilen Ausfälle oder Probleme auftraten. Das sind nicht immer diejenigen, die getauscht werden. Billige, schnell tauschbare Bauteile fallen auch bei hoher Ausfallsrate kaum auf. Organisationen schleppen ein Qualitätsproblem manchmal jahrelang als Ballast in ihrem Wartungsprogramm mit, ohne es zu merken. Die Statistik fördert das ohne große Mühe zu Tage, entscheidet ob es sich um ein Qualitäts- oder Zuverlässigkeits-Thema handelt und macht entsprechende Vorschläge. Diese Empfehlungen entsprechen nicht immer den gängigen Handlungsmustern. Der vorsorgliche Tausch von (nicht defekten!) Teilen gegen Ende ihrer Lebensdauer ist z.B. nicht für alle Wartungsmannschaften eine einfache Aufgabe.

In Lebensdauer-Analysen zeigen sich auch eine Reihe anderer Einflüsse. Saisonale Schwankungen der Ausfallsrate geben Hinweise auf Temperatur-Effekte oder Korrosion. Standorte, Betriebsweisen, klimatische Effekte können ermittelt werden. Die Auswirkung der Wartung auf das Ausfallsgeschehen, das Verhältnis aus Wartung zu Reparatur, die Fahrer-Einflüsse, kurz alles was in den Daten an Information steckt, holt die Statistik raus.

Process Modellierung Für die Produktentwicklung und Absicherung der Zuverlässigkeit werden Felddaten mit statistischen Verfahren analysiert. Daraus entsteht ein Nutzungsraum, der uns sagt in welcher Hinsicht und wie stark sich die Nutzungsweisen eines Produkts unterscheiden. Daraus ergibt sich auch, welche Kunden-Typen oder Betriebsweisen für welche Ausfallsrisiken kritisch sind.

Diese Analyse liefert auch eine Antwort darauf, ob sich die Vielfalt an Nutzungsweisen hinsichtlich ihrer Lastausprägung in Gruppen zusammenfassen lässt. Damit können wir z.B. Test-Varianten auswählen, die stellvertretend für den ganzen Cluster Information liefern.

 

Schließlich liefert der Nutzungsraum auch die Bewertungs-Kriterien für die Referenzlastkollektive. Von ihnen erwarten wir, dass sie kritische Kunden repräsentieren – daher im Randbereich des Nutzungsraums positioniert sind. Ergänzend befindet sich der mittlere Kunde im Zentrum des Nutzungsraums. Dieses Set an Lastzyklen bildet die Referenzen für die Bewertung anforderungsgerechter Tests.

Letztere bestehen aus repräsentativen und aus gerafften Tests. Repräsentative Tests sollen sich im Nutzungsraum gleich neben die mittleren Kunden aufs Sofa setzen. Die gerafften Tests dagegen dürfen die Grenzen des Nutzungsraums getrost ignorieren und sich am Horizont den Stürmen der Lastüberhöhung stellen. Wir nehmen sogar in Kauf, dass dabei ihre Proben draufgehen. Das nennen wir ausfallsorientiert Testen. Es ist aus statistischer Sicht sehr effizient.

Die erwartete Zuverlässigkeit stellt eine wesentlich bessere Bewertung der Wirklichkeit dar.

Einige Limitierungen der Statistik und wie wir mit ihnen zurecht kommen

Der klassische statistische Zugang geht davon aus, dass wir nichts über die Welt wissen und nur Daten haben, also z.B. die Laufleistungen und Ausfallsdaten im Verlauf einer Produktentwicklung. Daraus kann man den Zuverlässigkeitsnachweis rechnen, aber die tatsächliche Zuverlässigkeit des Produkts ist massiv höher. Der statistische Nachweis ist ja nur das Maß für die schlechtestmögliche Produkt-Zuverlässigkeit, die mit den gegebenen Ausfallsdaten noch kompatibel ist.

Tatsächlich passt dieses Ergebnis nicht zur Wirklichkeit, denn speziell die Konstrukteure und Entwickler wissen natürlich sehr viel über ihr Produkt, schon bevor es existiert. Wenn wir also die statistischen Verfahren um dieses Vorwissen erweitern, dann bekommen wir mit der „Erwarteten Zuverlässigkeit“ eine wesentlich bessere Bewertung der Wirklichkeit hin.

Damit können wir viel nützliche Information für schwierige Entscheidungen liefern, z.B. die erforderlichen Rücklagen für die Gewährleistung ermitteln oder das Testprogramm mit dem besten Verhältnis aus Kosten zu Nutzen festlegen. Wir können das Kostenrisiko erweiterter Gewährleistung ermitteln und den Aufwand es zu senken.

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